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Ein Rückblick

Von Dr. Horst-Ludwig Riemer (Staatsminister a.D.), *1933 - †2017

Vor der Kommunalwahl im Herbst 1952 - ich war vor wenigen Tagen in die Partei eingetreten und erhielt gleich den Auftrag, mit dem Lautsprecherwagen durch die Stadt zu fahren und - wie man damals noch sagte - Propaganda zu machen. Ich fragte den damaligen Kreisvorsitzenden Franz Graf, was ich denn über den Lautsprecher mitteilen sollte. Franz Graf sagte knapp: "Sie wissen doch sicher, warum Sie gerade in die Partei eingetreten sind, und das werden Sie den Leuten doch wohl erklären können." So ist es eigentlich über Jahrzehnte bis heute geblieben.

In den Diskussionen, die ich zu bestreiten hatte, oder in den Artikeln, die ich geschrieben habe, aber auch in den Reden - eigentlich sogar unabhängig vom Thema - ging es im Grunde darum, sich immer wieder selbst klar zu werden und anderen zu erklären, warum ich in der F.D.P. bin.

Es gab Zeiten, da fiel es mir leicht, dies mit Begeisterung zu tun. Es gab aber auch Phasen, da erschien es mir unendlich schwer. Der Kreisverband hat in seinen über 50 Jahren viele Höhen und Tiefen durchlebt; wobei das natürlich relativ gesehen werden kann, denn die Höhen der einen waren oft die Tiefen der anderen. Es gab aber auch Hoch-Zeiten mit großer politischer Sensibilität, differenziertem Wahrnehmungsvermögen, Kreativität, Initiativität, Dynamik, Durchsetzungskraft und Ausstrahlung.

So wie ich es erlebt und empfunden habe, hat sich der Kreisverband ungefähr alle 10 Jahre grundlegend verändert und eine jeweils neue Real-Identität entwickelt. Natürlich wurde der Verband wohl am stärksten immer durch seine Personen und Persönlichkeiten geprägt, durch deren Charakter, deren Erfahrung, ihrem Geist, ihre sozialen Kompetenz und ihre Interessen. Das gilt für die Führung, aber auch für die Mitglieder. Bestimmend war weiter die allgemeine politische Problem-Situation und das gesellschaftliche und politische Bewußtsein.

1952 wurde die Mitglieder-Zusammensetzung weitgehend durch die Kriegsgeneration bestimmt, Soldaten, Vertriebene aber auch ehemalige Mitglieder der NSDAP waren große Gruppen. Im Landesverband galt das "Deutsche Programm", das im wesentlichen von einem Ministerialbeamten des Goebels-Ministerium geschrieben worden sein soll. Im Kreisverband war es kaum möglich, Mehrheiten ohne die Mitglieder der ehemaligen Waffen-SS zu erhalten. Das Nationale spielte eine große Rolle, stand aber öffentlich nicht im Vordergrund, denn keiner wollte zurück in die Vergangenheit. Alle wollten die Freiheit als politisches Prinzip, wenn auch aus ihrer speziellen Weltsicht, als Zukunftsprogramm.

Die nationalen Aspekte wurden aber schon sehr früh und sehr stark durch die wirtschaftsliberalen Züge überlagert und verdrängt, denn wir waren mitten in der Aufbauzeit. Der wirtschaftliche Aufstieg führte dazu, daß sich auch der Liberalismus immer mehr vom Markt und seinen Prinzipien her definierte, er wurde zum Wettbewerbsliberalismus. Die Mitgliederstruktur wurde immer mehr mittelständisch. Von da ab, als der reine Wettbewerb und der Nachwächterstaat zum allgemeinen gesellschaftspolitischen Leitbild des Liberalismus wurden, begann in den sechziger Jahren wieder eine Wende.

Es gab viel - und insbesondere auch im Kreisverband Düsseldorf - die spürten, daß das Pendel zu weit in eine bestimmte Richtung auszuschlagen drohte. Ich selbst habe mich an den Diskussionen mit einem Konzept für einen "Positiven Liberalismus" beteiligt. Das Negieren des Staates ist in bestimmten Zeiten unter bestimmten Voraussetzungen und differenziert als Aktionsprogramm sicher richtig. Und auch der Wettbewerb gehört zu den wichtigsten Prinzipien des Liberalismus. Aber beides reicht nicht als tragfähige Grundlage für ein gesellschaftspolitisches Konzept.

Der Mensch ist auf die Gemeinschaft angelegt. Er kann seine Freiheit nur im Staat und mit ihm verwirklichen. In der Freiheitsverwirklichung liegt aber auch die Grenze des Staates, und: Marktwirtschaft und Wettbewerb sind nicht das Ziel des Liberalismus. Marktwirtschaft ist nur ein Instrument zur Verwirklichung der Freiheitsmöglichkeiten aller. Und wo das nicht der Fall ist, muß auch die Marktwirtschaft entsprechend begrenzt und korrigiert werden. Was kam, war der Sozial-Liberalismus.

Aus meiner Sicht gesehen, war es wohl auch die Blütezeit des Kreisverbandes Düsseldorf. Abgesehen davon, daß der frühere Düsseldorfer Kreisvorsitzende Walter Scheel tatsächlich auch die sozial-liberale Wende herbeiführte. Die Anfänge zum Freiburger Programm lagen eindeutig in Nordrhein-Westfalen. Letztlich ist das Programm selbst von Mitglieder des Kreisverbandes Düsseldorf sehr wesentlich mitgestaltet worden. Die Wende 1982, die ich in Bonn als Bundestagsabgeordneter mit erlebt habe, hatte viel mit dem Menschlichen zu tun, und hatte etwas von einem Betriebsunfall an sich. Von einem bestimmten Zeitpunkt an war der Vorgang auch nicht mehr beherrschbar. Aus heutiger Sicht und den deutlicher werdenden historischen Kontext war die Wende wohl notwendig. Durch eine zu stark fortgeschrittene Co-Assimilation war die Identität der F.D.P. gefährdet. Die Mitglieder - insbesondere auch im Kreisverband Düsseldorf - waren auf diese Entwicklung nicht vorbereitet.

Der Kreisverband Düsseldorf war fast gespalten. Aber das erbitterte Ringen hatte durchaus Niveau und seine Qualität und Attraktivität. Wo stehen wir heute? Die Situation war für den Liberalismus als Problem-Lösungs-Prinzip selten so günstig wie heute, und zwar in allen Politikbereichen. Die zunehmende Gefahr ist aber, daß alle unsere Konkurrenten von der Not gezwungen viele Lösungsvorschläge machen, die entweder zum alten Liberalismusbestand gehören oder von uns stammen könnten. Die Diskussion um den Spitzensteuersatz z.B. zeigt dies ganz deutlich, wenn sogar die Grünen für nur noch 35 % sind. Besonders gilt dies auch für viele kommunalpolitische Vorschläge in Düsseldorf. Die bekannten Positionen sind wichtig, reichen zur Profilierung aber nicht aus. Geistige Investitionen zur Fortentwicklung sind dringend erforderlich. Das betrifft auch die Organisationskultur und den Stil, die oft mindestens so wirksam sind wie der Inhalt der Politik.

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